„Das Thal, welches die Tauber zwischen Gamburg und Wertheim durchfließt, ist mit seiner stillen Waldeinsamkeit und dem unruhigen, im schönsten grün schimmernden Flusse ganz dazu geschaffen, Mythen zu wecken…“, schrieb der deutsche Schriftsteller und Archivar Alexander Kaufmann (1817-1893). Gerade das Dorf Gamburg ist besonders reich an wunderhaften Sagen.

Romantisierende Ansicht der Gamburg
von Carl Eberdt aus Rüdesheim (19. Jh.)
Die bekanntesten sind dabei die, welche in besonderer Weise mit der Burg verbunden sind. Zum einen ist dies die erstaunliche Geschichte der Geister der Gamburg, welche zur Zeit der Koalitionskriege geradezu ungeheuerliche Ausmaße angenommen haben soll und in der mindestens 21 verschiedene Geister und andere Spukerscheinungen beschrieben werden. Zum anderen die tragische Sage der schönen Melusine, der Wasserfrau der Mühle von Eulschirben, einem nahegelegenen Weiler, in die sich der Herr der Gamburg einst hoffnungslos verliebt hatte. Überhaupt „ist auffallend, um wie viel reicher die Tauber an Wassergeistern ist, als der größere Hauptfluss, der Main“, staunte Alexander Kaufmann.
Beide Sagenkomplexe sollen im Folgenden in zusammengefasster Form vorgestellt werden. Mehr dazu erfahren Sie bei unseren monatlichen →Sagen- und Geisterführungen, welche vier mal im Jahr sogar →mit einem saisonalen Festfeuer abgeschlossen werden, oder auf unserer →literarischen Wanderung auf den Spuren der Melusine.
DIE GEISTER DER GAMBURG
Im Jahre 1864 diktierte die 81-jährige Gräfin Antoinette von Ingelheim genannt Echter von Mespelbrunn, geborene Gräfin von Westphalen zu Fürstenberg, ihrem Sohn Philipp ihre gewissenhaft vorgetragenen Erinnerungen über zahlreiche mysteriöse Begebenheiten auf der Gamburg, damals Sommerresidenz der Familie, welche ihr als damals junge Frau berichtet wurden und welche sie zum Teil auch selbst erlebt hatte. Nachdem sie zeitlebens erfolglos nach Erklärungen für diese Ereignisse gesucht hatte, zu denen sie immer eine gewisse skeptische Distanz hielt, wollte sie diese nun für ihre Nachkommen festhalten.

Gräfin Antoinette v. Ingelheim gen. Echter v. Mespelbrunn, geb. Gräfin v. Westphalen zu Fürstenberg
Die Geschichte ereignet sich vor dem Hintergrund der Koalitionskriege gegen Frankreich (1792-1815) und der Säkularisation (1802/03). 1792 flohen ihre Schwiegereltern vor der Einnahme der Stadt Mainz durch die Revolutionsarmee von ihren rheinischen Besitzungen auf die Gamburg, welche von der Herrschaft schon lange nicht mehr besucht worden war. Der Sage nach hatte man dort in früheren Zeiten Feuer in den Bergfried geworfen, um die darin tobenden und lärmenden Basilisken und anderes Getier zu entfernen. Nun wurde die Dienerschaft tatsächlich Zeuge diverser nächtlicher Spektakel, die sich wie das Ausschütten von Erbsen und Nüssen in den Wendeltreppen und das Zerbrechen von Geschirr in der Küche anhörten, obwohl am nächsten Morgen immer alles unversehrt vorgefunden wurde. Besonders auffallend war aber das Toben der verängstigten Pferde im Burghof. Es war so schlimm, dass die Leute des Grafen nicht mehr bei ihm wohnen wollten, wobei der Frau eines Dieners namens Simmler einmal sogar eine geisterhafte Nonne erschien.
Nachdem Antoinette und ihr Mann die Gamburg erstmals im Jahre 1800 besucht hatten, ohne dass es zu besonderen Vorfällen gekommen war (aus dieser Zeit stammt der anlässlich ihrer Hochzeit errichtete Obelisk unterhalb des heutigen Burgparks), fanden sie sie bei ihrem erneuten Besuch zwei Jahre später verändert vor. Denn in der Zwischenzeit hatte es allerlei Vorkommnisse gegeben:
Der eigentlich als Freigeist bekannte Amtmann Anton Martin, der für die Verwaltung der Herrschaft Gamburg zuständig war, hatte sich, nachdem ihm selbst ein Geist erschienen war, den Bestrebungen seiner Familie nach Erlösung der armen Seelen der Gamburg durch zahlreiche Almosen, Gebete, Andachten und Messen angeschlossen. Dieser stets als Erzbischof erscheinende Geist hatte dem Amtmann seine ganze tragische Geschichte sowie die der Familie Pröly, der er angehörte, eröffnet: Während eines Krieges vor hunderten von Jahren sei er, der Erzbischof von Salzburg, mit einem italienischen Kardinal, dem Abt des Klosters Einsiedeln sowie der Äbtissin eines anderen, nahegelegenen Klosters, zusammen ihren ungeheuren Kirchenschätzen auf die unüberwindbare Gamburg geflüchtet, welche der Bruder bzw. Vater der Genannten damals besessen hätte. Doch verleitet durch Habsucht hätte dieser seine Verwandten sowie viele andere ermorden lassen, um sich ihrer Reichtümer zu bemächtigen, so dass diese, sowie er selbst, bis heute bei Tag wie bei Nacht als Geister auf der Burg erscheinen würden. Am häufigsten erschien dabei der Erzbischof, oft segnend und in großem Glanz. Selbst die jeweiligen Tatorte, auch im Garten, wurden benannt. Nach diesen Eröffnungen an den Amtmann kam eines Abends ein reisender Mönch namens Pater Johannes auf die Burg, dem in seiner dort bereitgestellten Schlafkammer vier geharnischte Ritter erschienen und in der Nacht weitere wunderbare Dinge eröffnet wurden. Diesen ließ die Familie Martin später nochmals auf die Burg berufen, um nun tägliche Messen und Beschwörungen im heutigen Oratorium vornehmen zu lassen, wo täglich auch unzählige Zeichen auf dem Altar, dem Korporale oder dem Boden erschienen.
So präsentierte sich die Burg dem gräflichen Ehepaar nun als ein Ort großer Unruhe und Heimlichkeit, auch wegen sogenannter „Einschauer“, die in einem alten Gartenhäuschen in Spiegeln die Geisterwelt schauen, prophezeien und den armen Seelen nützlich sein sollten. Die Gräfin selbst wurde nun in einer Nacht Zeuge eines im ganzen Gebäude widerhallenden Lärms, bei dem es schien, als würden die Geister eiserne Schatzkisten mit Ketten aus der Zisterne über den Hof, den hinteren Treppenturm hinauf, bis in das sogenannte „Bischofszimmer“ über ihrem eigenen Schlafzimmer ziehen und wieder zurückbringen, was sogar die Fenster erschüttern ließ und sich zwei Stunden lang immer wiederholte.
Der Gräfin und ihrem Mann wurde zudem erklärt, dass die Geister sie auch während ihrer Abwesenheit von der Gamburg immer umgeben würden, wodurch der Amtmann immer über die Geschicke der Familie informiert werde. Tatsächlich wurde der Graf von diesem einmal bei einem Überraschungsbesuch ganz feierlich empfangen, mit dem Hinweis, der Erzbischof hätte ihm seine Ankunft eröffnet. Ebenso sagte der Amtmann den Dorfbewohnern den Tod des Schwiegervaters der Gräfin in Geisenheim voraus. Selbst ihr eigener Sohn sah dort sowie in ihrer Wohnung in Frankfurt, teilweise wie geblendet, aber ohne Furcht, immer wieder einen Mann, der plötzlich auftauchte und wieder verschwand, ohne dass sie selbst ihn erblicken konnte.
Von 1802 bis 1816 konnte das gräfliche Ehepaar die Gamburg auf Grund der Kriegsereignisse, aber auch wegen der sich immer vergrößernden Familie nicht mehr besuchen, ließ sich aber weiter über die Ereignisse auf der Burg unterrichten. So auch über die schrecklichen Geisterumzüge, in denen der „Vater Maximilian“ genannte Mörder wie ein Tier an Ketten geschleift und große mit Gebeinen gefüllte Kessel mitgeführt wurden. Eine alte Magd in Diensten des Amtmanns zehrte, von bösen Geistern geplagt, immer mehr ab und stürzte mehrmals zusammen, schreiend „Der Schwarze“ würde auf sie eindrängen.
Da man auf der Burg immer bestrebt war, die Zahl der Betenden zur Erlösung der Geister zu erhöhen und gleichzeitig auch Almosen spendete, erschien eines Tages auch ein einfacher Schäfer namens Steinbock, der behauptete, er könne Messe dienen. Bei der Wandlung sank er jedoch ohnmächtig nieder und erwachte erst nach einigen Stunden. Da zog er aus seinem Rock ein schönes, altes Pergament mit zwei Blutstropfen hervor, auf dem mit prächtigen Insignien der Name des Erzbischofs, Casparus Pröly, geschrieben stand. Steinbock behauptete, dass er während seiner Ohnmacht mit einer Mission zur Beendigung der ganzen Angelegenheit beauftragt wurde, nämlich nach Salzburg zu gehen, um dort ein Seelenamt für den Erzbischof halten zu lassen, dann auf eine Wallfahrt an das Heilige Grab, zudem zum Reichsarchiv nach Wien, ins Kloster Einsiedeln, nach Italien etc. Überhaupt würde die Erlösung der Geister dem Katholizismus einen großen Triumph bescheren, ihre großen Schätze auf der Gamburg, darunter auch das wirkliche Gnadenbild Maria Einsiedeln, aber großes Erstaunen sowie die Aufteilung derselben, gerade wegen der aktuellen Säkularisation, große Schwierigkeiten auslösen. Für seine Reise sollte er einem alten Männchen folgen, das ihn führen würde, und so machte er sich, nachdem man ihm Geld beschafft hatte, mit seinem Pergament als Beglaubigung auf den Weg.
Nachdem er sich auch dem gräflichen Paar persönlich in Frankfurt vorgestellt hatte, zog er weiter, bis nach einiger Zeit tatsächlich ein Zeitungsblatt mit der Beschreibung eines prächtigen, von Steinbock veranlassten Seelenamtes aus Salzburg eintraf, was das Paar misstrauisch überprüfen ließ. Doch war der Artikel offenbar echt. Im weiteren Verlauf seiner Reise wurde es stiller um ihn, doch berichtete er, dass er trotz der Flucht vieler Archive vor der Besetzung Wiens durch Napoleon tatsächlich in das Reichsarchiv eingeführt wurde. Tatsächlich hörte sogar der berühmte Kriegsheld Erzherzog Karl von Österreich-Teschen von der Geschichte. Von seinen Reisen schickte Steinbock auch Portraitmedaillons des spukenden Erzbischofs, des Abtes und des Kardinals sowie eine Kreuzreliquie. Sein Rang und Namen wurden im Verlauf immer vornehmer.
Doch inzwischen reichten die Mittel für seine zu honorierenden Anweisungen in Gamburg nicht mehr aus. Die eigentlich vermögende Familie Martin hatte für die Angelegenheit ihre ganze Habe geopfert. Der Amtmann vernachlässigte in Erwartung der großen Schätze immer mehr seinen Dienst und wurde schließlich von der Herrschaft entlassen. Doch hielt er, weiterhin von den Geistern umgeben, an der Sache fest und zog nach Würzburg, scheinbar voraussehend wann immer das gräfliche Paar in die Stadt kam. Als er starb, war seine Armut so groß geworden, dass sein Körper in die Anatomie verkauft wurde. Derweil wurde berichtet, dass der unglückliche „Vater Maximilian“ den Betenden in letzter Zeit in weißem Gewande erschienen war, auf dem nur noch ein schwarzer Fleck auf dem Herzen sichtbar war — ein Trost angesichts der vom armen Amtmann gebrachten Opfer.
Seit seinem Umzug in die Stadt war es auf der Gamburg ruhiger geworden, die nun vom gräflichen Revierförster bewohnt wurde. 1816 kamen die Gräfin und ihr Mann wieder auf die Burg und richteten sie neu ein. Doch weder jetzt noch später war der Spuk ganz vorbei: Im Beisein der Gräfin sanken zwei ihrer Dienerinnen plötzlich nieder und sagten, der Erzbischof hätte segnend das Zimmer durchschritten, ohne dass sie selbst ihn bemerkt hätte. Der Diener Simmler sah einmal beim Gebet zwei helle Blitze und fiel bei der Andeutung des bischöflichen Segens durch den Geistlichen in Ohnmacht. Im Garten wähnte sich der Küchenjunge am hellichten Tag mehrmals von einer weißen Gestalt verfolgt. Eine Zeit lang wurden Dorfkinder vor dem Burgtor mit Steinen beworfen, die ihre Milchtöpfe zerschlugen. Bei einer Untersuchung der Vorfälle wurde selbst ein Verwandter der Gräfin getroffen, ohne dass je herausgefunden wurde woher. Die Dienstbotinnen klagten, sie würden nachts durch starken Wind sowie das Flattern großer Vögel in ihrem Zimmer beunruhigt werden. Ähnliches berichtete auch eine Tochter der Gräfin. Ebenso waren später auch zwei ihrer Enkelinnen in jeweils jungen Jahren stark verängstigt, wenn sie in ihren Betten waren, und versuchten dabei einen unsichtbaren Mann abzuwehren. Es war so schlimm, dass die Gräfin ihre Kinder schließlich bat, sie nicht mehr auf der Gamburg zu besuchen. Immer wieder weigerten sich auch Dorfbewohner und Bedienstete aus Angst vor dem Spuk auf die Burg zu kommern oder dort zu übernachten. An einem Weihnachtsabend nahm sogar die ganze Gemeinde Gamburg eine wunderbare, zweistündige Beleuchtung der Burg wahr, die wie durch wandelnde Sterne erhellt war. Tags darauf erschallte der ganze Taubergrund von diesem Ereignis.
Seit dem Tode ihres Mannes 1847 bewohnte auch die Gräfin die Burg nicht mehr. Oft vernahm sie, dass auch weiterhin auf der Burg Übernachtende sehr beunruhigt wurden. Sie selbst bedauerte zeitlebens, über diese Geschehnisse nie Gewissheit erlangt oder eine Erklärung gefunden zu haben, obwohl sie an die Sache selbst glaubte. Nach ihrem Tode 1867 scheint es zunächst keine besonderen Vorkommnisse mehr gegeben zu haben, außer dass seitdem immer wieder diverse Grabungen auf der Suche nach dem sagenhaften Schatz unternommen wurden.
Erst im 20. Jahrhundert hörte man wieder von den Geistern. Als 1922 die heutige Burgkapelle konsekriert wurde, konnte der Festprediger sowie manch anderer Gast wegen eines Lärms nicht schlafen, als werde das Tafelgeschirr von der Dienerschaft in Kisten verpackt. 1939 sah der Fürst Löwenstein im Gang einen schwarzen Hahn, der, als er ihn einfangen wollte, um die Ecke verschwand. Auf Nachfrage bei seinen Gastgebern während des Frühstücks wurde dies voller Schrecken als böses Omen gedeutet. Am nächsten Tag marschierte Hitler in Polen ein. Während der Besetzung durch die Amerikaner suchten diese ebenfalls vergeblich nach dem Schatz. Nach dem Krieg stand angeblich sogar im Vertrag, den der damalige Burgeigentümer, Graf Westerholt, mit dem damaligen Nutzerverein schloss, dass der Schatz, gleichgültig wer ihn finde, Eigentum der gräflichen Familie sei. 1989 behauptete ein schwedischer Verwandter der heutigen Eigentümer, nachdem er sich zum Abendessen verspätet hatte, bei den Tuffsteinnischen im oberen Zwinger einen koboldartigen Schäfer mit Schlapphut gesehen zu haben, der sich darüber beschwert hatte, dass die schönen Statuen dort nicht mehr stehen würden. Obwohl er als hellsichtig bekannt war, wusste er weder von der Geistergeschichte, noch dass sich dort ursprünglich tatsächlich die zerstörten Statuen von Ferdinand Tietz befanden, welche aber bereits seit einiger Zeit im Burghof standen und damals außerdem beim Restaurator waren. Heute stehen sie wieder in ihren Nischen. Seitdem gab es noch zwei weitere Geistersichtungen in bzw. in Verbindung mit der Gamburg.
Vor einigen Jahren gelang es außerdem, alle relevanten Personen der von der Gräfin Antoinette geschilderten Ereignisse historisch zu identifizieren und die geschichtlichen Hintergründe dazu, welche fast ebenso spektakulär sind wie der Spuk selbst, nach 200 Jahren endlich aufzudecken. Eine entsprechende Publikation ist in Vorbereitung. Ein Rest des Rätsels bleibt jedoch auch heute noch unerklärlich…
MELUSINE oder DAS GRASMÄDCHEN AUF DER EULSCHIRBER MÜHLE

Die Eulschirbenmühle an der Tauber
„Zwischen dem Kloster Bronnbach und der Gamburg liegt an der Tauber ein eigenthümliches, dem Anschein nach herrschaftliches Gebäude mit Thürmen, Erkern und zwei hohen, durch seltsame Hörner und Schnecken verzierten Giebeln, welches aber, soweit beglaubigte Kunden reichen, nie etwas anderes als eine Mühle gewesen ist. Der Sage nach ist es durch einen Grafen (Herrn), welcher auf der Gamburg gewohnt, erbaut worden. Dieser Graf war ein leidenschaftlicher Jäger und verbrachte, zum Verdruß seiner Gattin oft Tage, selbst Wochen von seinem Schlosse entfernt, mehr als die Hälfte seines Lebens mit Jagen und Fischen.

Romantisierende Ansicht der Gamburg (1862)
Als er nun einst im Erlengebüsch bei der Mühle von Eulschirben mit Fischfang beschäftigt war, sah er ein ihm unbekanntes Grasmädchen von wunderbarer Schönheit vorübergehen und dann in der Mühle verschwinden. Auf seine Anfrage beim Müller, wer die schöne Fremde sei, erwiederte dieser, sie habe sich vor Kurzem bei ihm verdingt, jedoch mit dem Vorbehalt, daß sie von Donnerstag Abend bis Sonnabend früh im Walde leben dürfe, was er ihr gerne zugestanden, da sie in einer halben Woche so viel arbeite wie andere Mägde in einer ganzen. Diesem Geheimniß, was sie in der zweiten Hälfte der Woche triebe, mußte der Graf, der eine leidenschaftliche Liebe zu dem Mädchen gefaßt, auf die Spur kommen und so begab er sich am nächsten Donnerstag gegen Abend wiederum in die Nahe der Mühle, um das seltsame Verschwinden zu belauschen.
Wirklich erschien auch das Mädchen, der Graf folgte in einiger Entfernung, plötzlich aber war die liebliche Erscheinung verschwunden, und alles fernere Suchen umsonst. Später kam es dem Grafen jedoch vor, als habe er aus dem Flusse etwas Weißes schimmern gesehen und ein Rauschen wie von einem Badenden herrührend vernommen. Damit schlossen die Ergebnisse des ersten Nachforschens. Aehnlich ging es die nächste Zeit, doch war der Graf im Verlauf derselben einige Mal in Unterhaltung mit dem Mädchen gerathen und fühlte seine Leidenschaft von Tag zu Tage wachsen.

Ein gekröntes Wasserweib mit drei Sternen als Wappen des berühmten Bronnbacher Abtes Franziskus Wundert an einem Bildstock am Fuße des Weinbergs “Satzenberg”.
Da beschloß er endlich, seine Versuche vom entgegengesetzten Ufer der Tauber anzustellen, und siehe da! es gelang ihm wirklich, die Schöne zu sehen, wie sie sich sorgfältig auskleidete, ihre Gewande (Schwanenhemde) vorsichtig in eine Schürze wickelte und im Gebüsch versteckte, dann aber mit raschem Sprunge in das Wasser tauchte. Als sie nach einer Weile nicht erschien, entsetzte sich der Graf und wollte schon um Hülfe rufen. Da fuhr sie plötzlich wieder aus und wiegte sich in glänzendster Schönheit, eine Perlenkrone auf dem Haupt, über den vom Mond hell beschienenen Fluthen. Zugleich bemerkte der Graf aber auch, daß ihr Leib von der Hüfte an Schuppen trug und in einen Fischschwanz endete. Als die Erscheinung wieder untergetaucht, schlich der Graf, dem wohl kund, daß man sich durch ein Pfand zum Herrn solcher Wasserfrauen machen könne, an die Stelle, wo die Kleider lagen, und nahm die Schürze weg. Von jetzt an war die schöne Graserin die Geliebte des Herrn von der Gamburg, erbat sich aber von ihm tiefstes Stillschweigen über ihr Geheimniß und knüpfte daran sogar den Fortbestand ihrer Liebe.
Um dieses Geheimniß besser wahren zu können, baute der Graf auf ihren Wunsch jenes räthselhafte Gebäude und verlebte dort von Niemanden gesehen und belauscht mit dem Wasserfräulein die schönsten Tage. Von Donnerstag Abend bis Sonnabend früh kehrte sie jedoch nach wie vor durch die mit der Tauber in Verbindung stehenden untern Räume des Baues in ihr natürliches Element zurück, während der Graf diese Zeit auf der Gamburg zubrachte. Aber auf die Dauer konnte das Geheimniß doch nicht verborgen bleiben; die Gräfin hegte schon lange Verdacht, und die Neugierde des Müllers, welcher aus den ihm unzugänglichen und verbotenen Räumen nicht nur liebliche Gesänge und Saitenspiel, sondern ebenso häufig Töne der aufgeregtesten Liebesleidenschaft vernahm, wuchs von Tage zu Tag.

Gamburg kennt noch andere Wassergeister, wie etwa den am Dorfbrunnen dargestellten „Hokemo“, der unartige Kinder sowie neugierige Mägde zu sich unter die Tauberbrücke zieht.
Endlich, als die Sorgfalt des Grafen im Verschluß nachgelassen, gelang es dem Vorwitzigen hineinzuschleichen und heimlich ein Paar Locher in die Thüre des Hauptgemaches zu bohren. Damit war das Geheimniß in Kurzem entdeckt. Der Müller begab sich auf der Stelle zum Abt von Bronnbach, sich Raths zu erholen, und dieser gab ihm ein mit geweihtem Wachs verklebtes Papier, welches er unter Anrufung der drei höchsten Namen auf die oberste Staffel der Treppe legen solle. So that der Müller, und als am Abend des Donnerstages das Wasserfräulein sich in’s Element zurückbegeben wollte, hörte der Müller plötzlich Jammern und Klagen in den obern Räumen, dann erfolgte ein schwerer Fall in die Tauber, und wiederum war Alles todtenstill.
Das Wassermädchen war für immer verschwunden, der Graf aber wurde tiefsinnig, härmte sich ab und starb bald nachher. Die Gräfin errichtete in Eulschirben ein Klösterlein, worin sie bis an ihren Tod in Bußen und Gebeten für die Seele ihres unglücklichen Gatten gelebt hat. Kurz nach ihrem Verscheiden entstand solche Ueberschwemmung der Tauber, daß nur noch das Dach des Gebäudes hervorragte. Die Nonnen verließen daraus den Ort und übergaben den ehemaligen Sitz der Lust, der Liebe und des Gesanges dem Müller, der ihn als Mühle herrichten ließ.“
(Alexander Kaufmann, Das Grasmädchen auf der Eulschirber Mühle, 1859 —
Nach Andreas Fries, Die Melusine von Eulschirben, 1839)
ALLZUFRIEDEN UND UNZUFRIEDEN
„Ist euch, so sprach der Alte, des Märchens wirrer Sohn,
Der seinen Schatten füttert, ein Sinnbild der Nation,
Die fern dem frischen Leben und seiner ew’gen Kraft
Nach Schatten jagt, für Schatten sich abquält, müht und schafft,
So dacht‘ ich meines Volkes, als mir im Taubergrund
Ein Märchen einst erzählt ward von märchenkund’gem Mund;
Reich sind des Flüßlein Tiefen an Nixen jeder Art,
Von denen manche liebend mit Menschen sich gepaart.
Es ging von Gamburg einstens der Graf ins nächt’ge Thal,
Die Wogen rauschten lieblich — da taucht mit einem mal
Solch Weib aus dem Gewässer, ein wunderholder Leib;
Der Ritter, wie bezaubert, umarmte sie als Weib,
Des bessern Bunds vergessend. Oft stieg er nun zur Flut
Und hat im Wellenschlosse beim schönen Weib geruht,
Das stets mit neuen Reizen des Grafen Herz berückt.
Ein Kränzlein, heißt es, habe sie ihm aufs Haupt gedrückt
Von frischen Wasserrosen; das nahm ihm ganz den Sinn,
Daß sein vergangnes Leben, gleich einem Traum dahin,
Vergessen und verklungen, — Ein prächtig Bubenpaar
Schenkt ihm das Wellenmädchen, das ohne Schmerz gebar,
Die bracht er auf ein Bergschloß im Odenwald. Zur Nacht
Pocht es am Thor; drei Weibern wird eilends aufgemacht,
Die nach den Kindern fragen, Der Ritter wußte schon,
Daß sie Geschenke brächten, Die Erste sprach: „Dein Sohn,
Der rechts im Wieglein schlummert, er werde stark und groß!
Dem in der andern Wiege wünsch‘ ich ein gleiches Loos!“
Die Zweite: „Klug von Sinnen werd‘ er, ein weiser Mann!
Dem Einen gleich der Andre!“ — Die Dritte trat heran;
Zur Wiege rechts gewendet: „Der rege Sinn sei dein,
Der ewig unzufrieden,“ — Auffährt der Graf: „Halt ein!
Den Wunsch begehr‘ ich nimmer, Ist dieser auch gefeit,
Laß meinem andern Buben das Glück Zufriedenheit!“ —
„Ich laß es ihm,“ — Die Alte lacht hämisch, Wie ein Rauch
Verschwinden die Gestalten, Nach gutem Ritterbrauch
Erzog man nun die Knaben, sie wurden stark und groß,
Doch wunderbar geschieden war schon der Kinder Loos:
Der Eine unzufrieden, nie that er sich genug;
Er lernte fast gewaltig, er lernte wie im Flug,
Von Einem sprang zum Andern sein nimmer müder Sinn,
Der Zweite lernte gleichfalls, doch nahm er’s ruhig hin,
Schalt ihn einmal der Lehrer; selbst Schläge nahm er an,
Denn: „Ohne Schläge“, sprach er, „wird Einer nie zum Mann;
Mit Schlägen zieht man Kinder.“ So sprach er, selbst noch Kind.
Der Eine stets zufrieden, der Andre Brausewind
Vom Kopf bis in die Zehe, des Lehrers ärgste Last;
Der Eine allwillkommen, der Andre allverhaßt.
Der Eine neckte Jeden, der Andre litt’s in Ruh‘,
Daß Mägde selbst ihn neckten — er lächelte dazu.
„Was liebt sich“, sprach er, „neckt sich; Sprüchwort ist wahres Wort.
Was sollt ich darum zürnen? Volkslieb, das ist der Hort,
Den wir erringen sollen.“ — Auf Reisen ging das Paar,
Drauf stets Graf Unzufrieden die Qual der Wirthe war.
Das Gräflein Allzufrieden war hochwillkommner Gast,
Die schlechteste Bewirthung, ihm ward sie nie zur Last;
Er war allwärts zufrieden, bei jedem Schoppen froh;
Kratzt allzu sehr der Krätzer, dann sprach er: „’s ist mal so!
Es wechselt gleich dem Leben das Reisen die Gestalt,
Heut‘ ist es warm und wonnig und morgen schaurig kalt,
Man muß darein sich finden!“ Stets reist er drum so schlecht,
Besser als er logirte der Knappe selbst und Knecht.
Als von der Reise kehrte das schmucke Brüderpaar,
Nahm sie der Graf nach Gamburg; es war vor manchem Jahr
Die Gräfin schon gestorben. Der Unzufrieden ward
Des Alten rechter Liebling, das Volk benannt ihn hart,
Doch mehrt er Land und Leute und führte Krieg auf Krieg;
Graf Allzufrieden meinte: „Was soll mir Strauß und Sieg?
Ich bin mit Dem zufrieden, was Gott mir mild beschert.“
Sein Volk lebt‘ still und glücklich, doch ward drum nicht geehrt.
Der gute Allzufrieden. Man that ihm Tort auf Tort,
Ein Recht nahm auf das andre sein liebes Volk ihm fort. —
Ein tüchtig Weib zu freien, das fiel ihm nimmer ein,
Sein Weib hat ihn erfreiet — er mußt’s zufrieden sein.
Sie zeugte mit ihm Söhne, die Schar vermehrte sich
In seltsamlichster Weise, doch keins der Kinder glich
Dem Vater, der sie pflegte. In seinem klugen Sinn
Merkt’s wol Herr Allzufrieden, doch nahm er’s ruhig hin
Und sprach: „Unehlich zeugte sie schon das sechste Kind;
Mich stellt’s jedoch zufrieden, daß es nicht zwölfe sind.
Die Weiber heut’ger Tage sind alle so gemuth —
O tempora, o mores!“ Gedeihlich wuchs die Brut.
Und übt‘ in allen Künsten des Ritters brav sich ein.
Nur Einer sprach: „Herr Vater, ich mag kein Ritter sein!
Thut mich zu einem Schmiede — werd‘ ich ein tücht’ger Schmied!“
Der Alte drauf: „Ich höre zukünft’ger Tage Lied!
’s ist aus mit unserm Wesen — mein Grafenschloß zerfällt.
So werde denn, mein Bube, ein wack’rer Schmiedeheld!
Ernähr‘ dich treu und redlich! Gut Handwerk lohnt sich gut.“
Graf Unzufrieden knirschte, als er’s vernahm, vor Wuth.
Ein Schmied lebt in dem Spessart, fast Wieland gleich an Kunst,
Selbst was die Zwerge schufen, dem Künstler war’s ein Dunst;
Er wohnt‘ in einer Höhle. Ihm brachte seinen Sohn
Der Vater Allzufrieden und zahlte reichen Lohn
Voraus für sieben Jahre. — Grau ward der Held und alt;
Da sprach er einst: „Mich lüstet’s, einmal im Spessartwald ,
Den Buben aufzusuchen, wie der als Schmied wol schaut?“
Er pocht am Thor der Höhle, drin regte sich kein Laut.
Er sprach: „Lang warten lassen, ist großer Herren Art.
Ich möcht‘ ein wenig schlafen; ermüdend war die Fahrt!
Wird’s Feierabend öffnet von selber sich das Thor.“
Er legte vor der Höhle gemüthlich sich auf’s Ohr
Und schnarchte — Donner, schnarchte, daß weit der Wald erscholl
Von dem gewalt’gen Dröhnen, von Stein zu Steine quoll
Der Ton gleich einem Strome — ein Felsstück löste sich
Und traf des Alten Schläfe — der seufzte und erblich.
Das hatt‘ er von dem Schlafe, im Schlaf traf ihn der Streich.
Es war wol selbst sein Sterben dem Allzufrieden gleich,
Denn Sterben ist natürlich, und Jeder muß daran?!
Sprecht, Freund‘, woran gemahnt euch der allzufriedne Mann?“
(Alexander Kaufmann, Allzufrieden und Unzufrieden, 1853)